Pressemitteilung vom 15. März 2005

Ergebnisse des MPG-Forschungsprogramms"Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus"

(Sperrfrist 15. März 2005, 11:00 h)

Nach sechsjähriger Arbeit hat das Forschungsprogramm der Max-Planck-Gesellschaft "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" nun seine Untersuchungen abgeschlossen. Die Ergebnisse sind teilweise bereits publiziert, weitere Veröffentlichungen in Vorbereitung. Untersucht wurden u.a. die Politik der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Rassen- und Vererbungsforschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten, die Rüstungsforschung unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft, die agrarwissenschaftliche Forschung im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Expansionspolitik, die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie die Rolle des Nobelpreisträgers und langjährigen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Adolf Butenandt. Nicht alle der im Vorfeld geäusserten Vorwürfe hinsichtlich des Verhaltens der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ihrer Wissenschaftler im Nationalsozialismus sind durch die Arbeit des Forschungsprogramms bestätigt worden. Dennoch bleiben folgende Befunde festzuhalten: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war über eine Vielzahl von Forschungsvorhaben in die kriegswichtige Forschung im NS-Staat eingebunden. Einzelne Institute und Wissenschaftler waren darüber hinaus an medizinischen Verbrechen beteiligt. Im nationalsozialistischen Staat, der insbesondere für die Kriegsführung in hohem Masse auf Wissenschaft angewiesen war, waren den Spitzenforschern der KWG wenig Grenzen gesetzt, sofern es ihnen gelang, ihre professionellen Interessen als kompatibel mit den politischen und militärischen Zielen des Regimes darzustellen. Kennzeichnend für das Verhältnis von Wissenschaft und NS-Regime waren nicht politische Bevormundung und Auftragsforschung, sondern die Selbsteinbindung der Wissenschaftler und die Kooperation zum beiderseitigen Vorteil.

Politische Ergebenheitsadressen wurden den Forschern nicht abverlangt. Diese trugen zum Prestige des NS-Staat gerade dadurch bei, dass sie als seriöse Wissenschaftler und nicht als Parteigänger der Nazis galten. Die daraus entstehende Handlungsfreiheit nutzte die KWG, um Forschungsimperien auf hohem wissenschaftlichen Niveau auf- und auszubauen. Die Generalverwaltung der KWG machte es sich zur Aufgabe, die Kooperation zwischen den Wissenschaftlern und den politischen Entscheidungsträgern, militärischen oder industriellen Auftraggebern zu optimieren.

Nachdem es 1933 in einzelnen Instituten zu Konflikten mit militanten NSDAP-Aktivisten oder SA-Leuten gekommen war, arrangierten sich die Generalverwaltung sowie die Mehrheit der Wissenschaftler bald mit den neuen Verhältnissen. Dies zeigte sich deutlich bei der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler aus ihren Stellungen. Allenfalls versuchte man, die Entlassungen einzelner Prominenter hinauszuzögern; gegenüber den jüdischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den mittlerem und unteren Rängen wurden die gesetzlichen Vorschriften dagegen in fast allen Instituten zügig umgesetzt.

Schon in der Phase der heimlichen Aufrüstung in der Weimarer Republik wurde in der KWG an neuen Waffensystemen gearbeitet. Die Vorbereitung auf den Krieg und die Autarkiepolitik waren für die KWG mit einem starken Anstieg der Fördermittel insbesondere in den Bereichen der Rüstungs-, der Ersatzstoff- und der Agrarforschung verbunden. Die militärische Unterwerfung weiter Teile Osteuropas eröffnete den Agrarforschern der KWG Zugriff auf wertvolle wissenschaftliche Ressourcen in den besetzten Gebieten. An verschiedenen Instituten wurde die Wirkung von Kampfgasen erforscht, ohne dass diese jedoch im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden. Am KWI für medizinische Forschung gelang noch 1944 die Synthetisierung des hochtoxischen Nervengases Soman.

Die Bedeutung der KWG in der Rüstungsforschung lag weniger auf dem Gebiet spektakulärer Erfindungen, sondern in der Optimierung der waffentechnischen Produktionsverfahren, der Entwicklung neuer Waffensysteme und in der Material- und Geräteprüfung. Während in den meisten Kaiser-Wilhelm- Instituten die Übergänge zwischen der "Normalwissenschaft" und der Einbindung in Politik und Zielsetzungen des NS-Regimes fliessend waren, wurden in der biowissenschaftlichen Forschung und der Rassenforschung eindeutig ethische Grenzen überschritten. Ein prägnantes Beispiel sind Menschenexperimente und ein skrupelloser Umgang mit menschlichen Präparaten. Die Hirnforschung bediente sich in grossem Umfang der Hirne von ermordeten Anstaltspatienten. Anthropologen und Erbpathologen arbeiteten mit dem KZ-Arzt Josef Mengele kollegial zusammen. In den 1930er Jahren wurden Menschenversuche an vielen Standorten der modernen Biomedizin als wissenschaftliche Notwendigkeit gesehen und eingefordert. Diese Forderung liess sich umso leichter durchsetzen, als es während des Krieges darum ging, akute militärmedizinische Probleme rasch - und deshalb auf dem schnelleren Weg des Humanexperiments - zu lösen. Die professionellen Netzwerke, die von den Kaiser-Wilhelm-Instituten bis in die nationalsozialistischen Konzentrationslager und "Euthanasie"-Anstalten reichten, verschafften der Forschung neue Möglichkeiten. Zudem begünstigte der Krieg eine Ablösung der auf den individuellen Patienten gerichteten medizinischen Ethik durch einen patriotischen Ehrenkodex, der nach Freund und Feind unterschied.

Die Besonderheit des nationalsozialistischen Regimes lag nicht darin, dass es die Wissenschaftler gezwungen hätte, verbrecherische Menschenversuche durchzuführen. Der Unterschied zu den demokratischen Systemen lag in der Ausserkraftsetzung ethisch-moralischer Regeln und partiell auch der innerwissenschaftlichen Kontrollen. Der grenzenlose Ehrgeiz allzu vieler Wissenschaftler reichte als Motivation aus, um die unethischen Möglichkeiten zu nutzen, die das NS-System ihnen bot.

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Birgit Kolboske, 14. März 2005